Tageswoche

«My Name is Salt»: Wundersame Reise in die Vergangenheit

«My Name is Salt» ist ein Film-Dokument über etwas, was wir urbanen Kinder bald nur noch aus den Erzählungen der Grosseltern kennen: Handarbeit und Fussarbeit.

In Amsterdam, Hong Kong, Edinburgh und Madrid wurde der Film preisgekrönt. In Deutschland gewann er den Kamerapreis für die phantastischen Bilder von Lutz Konermann. In der Schweiz wäre der Film von Farida Pacha fast in den TV-Kanälen verschwunden. Jetzt läuft er in den Kinos. Dort gehört er hin. Als Salz im Teig der Alltagsfilme.

So weit das Auge reicht, liegen unter der gleissenden Sonne Boote im weissen Wüstensand. Am Horizont tauchen Menschen auf und fangen vor unseren Augen an – von Hand – zu graben.

Nach Tagen haben sie eine Pumpe und Schläuche aus dem Boden geholt und pumpen jetzt Tag wie Nacht Wasser aus der Tiefe eines Brunnenschachtes in ein riesiges Bassin an der Oberfläche, das sie zuvor mit Füssen festgestampft haben, und lassen die Sole in der Sonne verdunsten.

Sie verteilen über Wochen Grasbüschel in der Wasserfläche, an denen sich weisse Kristalle bilden. Sie drehen und wenden die weissen Klumpen in der Sonne und füllen sie schliesslich in Säcke ab. Dann vergraben sie die Pumpe und Rohre wieder – von Hand – im Wüstenboden und verschwinden wieder am Horizont.

Ein paar Tage später setzt der Monsunregen ein und verwandelt die Salzwüste in ein Meer. Jetzt schwimmen die Boote im Wasser, so weit das Auge reicht.

«My Name is Salt» ist ein Film-Dokument über etwas, das wir urbanen Kinder bald nur noch aus den Erzählungen der Grosseltern kennen: Handarbeit und Fussarbeit. Er zeigt, wie das Geschick des Einzelnen und das Zusammenwirken aller es möglich machen, durch Gewinnung eines Produktes Gewinn zu erzielen. Mit Arbeit. Und Köpfchen. Vor unseren Augen wird aus Wasser weisses Gold.

«My Name is Salt» ist auch ein Dokument der Zeit. So läuft der Strom der Zeit gleich mehrfach duch den Film. Die 90 Minuten Filmzeit fassen uns die Kindheit eines Salzkristalls zusammen. Die Filmzeit steht aber auch für drei Jahreszeiten, wir werden in eine ferne Vergangenheit zurückversetzt.

Es gilt, was Ernst Bloch einst mit dem Begriff Ungleichzeitigkeit umschrieb: Nicht alle Milieus und Bereiche der Gesellschaft durchlaufen die Fortschrittsprozesse in gleicher Weise und gleich weit, so dass daraus eine «Schieflage» zur jeweiligen Modernität der Gesellschaft resultiert. Als der Vater der Familie mit dem Salzhändler verhandelt, benutzt er ein Handy – ein Kommunikationsmittel aus einer komplett anderen Zeit.

Aus den grandios fotografierten Bildern wächst in einer sichtbar gemachten Zeit, ganz subtil, die Geschichte einer Familie, im Wachstumstempo eines Salzkorns. Wer demnächst zum Salzstreuer greift, wird diese Bilder im Kopf haben.

Hansjörg Betschart 18.09.2014, 23:26Uhr

http://www.tageswoche.ch/de/blogs/Lichtspiele/666769/

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