Acht Monate bei indischen Salzbauern
Während die Erzählweise moderner Spielfilme oft die Hektik und Reizüberflutung des städtischen Lebens widerspiegelt, gehen viele Dokumentarfilme den entgegengesetzten Weg. Sie setzen auf Beobachtung über einen längeren Zeitraum hinweg und zeigen dabei Entwicklungen auf, die keine Eile vertragen. In diesem Prozess entdecken ihre Zuschauer oft eine völlig unbekannte Wirklichkeit, zum Beispiel in Bezug auf die Lebensumstände in fernen Ländern. Ein besonders schönes Beispiel für einen ruhig beobachtenden Dokumentarfilm ist My Name is Salt der indischen Filmemacherin Farida Pacha. Er begleitet eine der rund 40.000 Familien, die alljährlich ihre Dörfer verlassen, um acht Monate lang in der im indischen Bundesstaat Gujarat gelegenen Salzwüste Kleiner Rann von Kutch zu leben. Dort gewinnen sie in mühsamen Arbeitsschritten ein Granulat, das als das weißeste Salz der Erde gilt, bis der Monsun kommt und die Wüste wieder in ein Meer verwandelt.
Im September kommt Sanabhai mit seiner Familie in der Wüste an und bezieht eine einsame Schilfhütte. Pritschenbetten, Gummistiefel, Kochtöpfe werden vom Traktoranhänger abgeladen. Dann beginnt das Graben, das zum Teil mit bloßen Händen erfolgt. Die Wasserpumpe, die in einem Erdloch verbuddelt war, wird wieder hervorgeholt. Ihr Tuckern begleitet die Familie von nun an Tag und Nacht. Stunden-, tagelang wird schlammige Erde ausgehoben, umgeschichtet, festgeklopft. Rechteckige Salzfelder entstehen, deren Boden barfüßig mit Trippelschritten bearbeitet wird. Alle helfen mit. In die gefluteten flachen Becken kommen Büschel getrockneter Grashalme, um die Kristallbildung der Salzlauge zu unterstützen. Dann ziehen Sanabhai und der weißbärtige Senior der Familie lange, selbstgebaute Holzrechen durch das Wasser: Sanabhai ist nervös auf Präzision bedacht, denn der Händler wird den Preis von der Konsistenz und der Reinheit des Salzes abhängig machen.
Immer wieder hält die Kamera von Lutz Konermann fest, wie die beiden Männer, Sanabhais Frau und die Kinder einzelne Handgriffe schier endlos wiederholen. Sie tun das gleichmütig, als hätten sie sich der Monotonie längst ergeben. Aber dann scheint es wieder so, als böte ihnen der stete Rhythmus ihrer Arbeit auch einen Halt und einen Grund, stolz zu sein. Sobald sich das entstehende Salz aus den Becken mit den Händen schöpfen und prüfen lässt, wird erkennbar, was sie erschaffen. Wenn sich Sanabhai vor einem großen Fest, zu dem sich alle Familien treffen, mit besonderer Sorgfalt rasiert, sieht es so aus, als würde die ruhige Hingabe, die seine Arbeit bestimmt, auch auf andere Tätigkeiten abfärben. Geredet wird untereinander nicht viel. Manchmal singt ein Kind ein Lied oder dreht das Kofferradio an. Der alte Mann murmelt unhörbar vor sich hin, vielleicht ist es ein Gebet. Am meisten Abwechslung haben die jüngeren Kinder, denn für sie gibt es mitten in der Wüste eine von Tüchern umspannte kleine Schulhütte, in der ein Lehrer Rechenaufgaben an die Tafel schreibt.
Kein Kommentar, kein Statement unterbricht die Beobachtungen, nur manchmal erklingt dezente Musik, etwa wenn die Kamera die weite Landschaft im Wechsel der Tageszeiten einfängt. Die endlose Ebene und ihre von Menschenhand geformten, sich verändernden Oberflächen prägen die Stimmung der langen Einstellungen. Die Kamera nähert sich auch oft den Gesichtern. Sie strahlen eine zurückhaltende Würde aus, manchmal verraten sie Zufriedenheit. Der Film versteht es, Nähe und Distanz sowohl visuell als auch emotional überzeugend zu dosieren.
Während die Familie wieder zusammenpackt, bläst schon ein zäher Wind. Bald hört man den Monsunregen prasseln und am Schluss des Films nehmen die Holzboote, die so lange verwaist in der Wüste herumstanden, wieder Fahrt auf. In wenigen Monaten aber beginnt alles wieder von vorne.
(Bianka Piringer)